Wer ist der Mensch? Eine franziskanische Antwort

Der selige Ladislaus Batthyany-Strattmann wurde 1870 in Ungarn in einer Adelsfamilie geboren. Er heiratete die Gräfin Maria Theresia Coerth und hatte 13 Kinder. Über Jahre hinweg war er ein gesuchter Arzt, der besonders für arme und einfache Menschen da war. Zudem gründete er mehrere Spitäler. Am 4.Oktober 1916, dem Hochfest des heiligen Franziskus, trat er zusammen mit seiner Gattin und ihrem 16-jährigen Sohn dem franziskanischen Dritten Orden bei. Er hatte eine zutiefst franziskanische Sichtweise auf den Menschen.
Drei eindrückliche Punkte aus seinen Schriften möchte ich daher vertiefen:

 

1. Der Wert des einzelnen Menschen hängt nicht von dem ab, was er gibt oder wie er ist.
Das sagt der selige Ladislaus sehr schön: "Eigentlich ist jeder Mensch nur so viel wert, als er vor dem lieben Gott wert ist, denn die Eigenschaften, die wir im Menschen hochschätzen auf Erden, sind Rechtschaffenheit, Wahrhaftigkeit, Nächstenliebe, und alle diese und die anderen nicht aufgezählten sind ja natürliche Folgen der Gottesliebe."

Wie viel wert sind wir Gott? Das sehen wir am Kreuz. So viel wert sind wir ihm. Da ist einer, der mich liebt, mehr als sein Leben stärker als der Tod. Und diesen Wert und diese Würde kann uns niemand nehmen.

Wenn wir nun aus dieser Liebe, aus der Gottesliebe leben, dann müssen wir auch nicht mehr ständig um uns selbst kreisen. Es muss nicht ständig um uns gehen, sondern wir können wie der Selige Ladislaus sagt, Wahrhaftigsein, unsere Nächsten lieben usw. Wir müssen uns nicht selbst suchen, denn wir wurden von Gott schon gefunden durch seine Liebe. Unsere Identität, unser Leben ist von ihm geschenkt und bejaht. Wir sind keine Waisenkinder, sondern dürfen in der Freiheit der Kinder Gottes leben.

Darum ist daher die Aussage des heiligen Franziskus auch so befreiend, die eigentlich das gleiche sagt, wie es der selige Ladislaus ausdrückt: "Was der Mensch vor Gott ist, das ist er! Nicht mehr und nicht weniger." Was für eine befreiende Aussage, wir Menschen sind zuerst geliebt und müssen uns nicht selbst erfinden, wir können lieben und dienen.

2. Den Menschen als Freund sehen.

Der Arzt Ladislaus sagt: „…wer als Kranker mich aufsucht, ist auch schon ein Freund, ohne ihn gesehen zu haben.“ Das ist natürlich eine Herausforderung, vielleicht im ersten Augenblick sogar eine Überforderung. Mein Mitmensch als Freund? Das geht natürlich nicht ohne den ersten Punkt.

Für Ladislaus bedeutet den Menschen als Freund zu sehen, für ihn dazu sein und Zeit zu schenken. Für ihn da zu sein, nicht weil er mir etwas gibt, sondern weil es ihn gibt, ebenso vor Gott einmalig und geliebt. "Durch die Liebe wird erst das Leben schön", so schrieb es der selige Ladislaus in sein Tagebuch 1926. Und was genau das nochmals im Konkreten bedeutet kommen wir nun zum dritten Punkt:

 

3. Die Liebe zeigt sich in der Einfachheit, in unserem Alltag.

Der selige Ladislaus Batthyany erzählt folgendes: „Vor ein paar Tagen der Zungenkrebs mit grausiger Operation, gestern die freudige Entbindung eines Kinderl, heute hatte ich drei Stare in meinem Spital. Vor all diesen Freuden und Leiden weiß die moderne Menschheit in Klubfauteuiles bei Sherry nichts! Und doch tausche ich mit niemandem, und 1000mal geboren, sage ich 1000mal meinem Gott im Himmel: „Herr. laß mich wieder Arzt werden, aber für dich, zu deiner Ehre arbeiten!“

Die Liebe ist nicht kompliziert, sie ist die Chance in meinem konkreten Alltag. Es ist die Chance glücklich zu werden, in dem ich mein Tun und meine Worte mit Liebe fülle: «Wenn ihr glücklich sein wollt, macht andere glücklich», sagt der selige Ladislaus.

Dazu möchte ich ihnen noch eine Geschichte aus meinem Alltag erzählen, die mich sehr berührt hat:

Als ich einmal am Morgenfrüh um 6 Uhr am Hegibachplatz (in der Stadt Zürich) auf das Tram wartete, traf ich auf einen älteren Herrn, den ich einmal in einem Altersheim angetroffen habe. Wir kamen miteinander ins Gespräch. Und er erzählte mir, dass er zwei Stationen weiterfahre und dort ein paar Zeitungen für das Altersheim hole, damit sie am Morgen etwas zum Lesen haben. Ich fragte ihn dann, ob er gleich noch in die Bäckerei ginge, und ein paar Gipfeli hole für ein gutes Frühstück.

Er lachte und sagte: "Nein, früher bin ich jeweils in ein Café gegangen und habe mir ein Gipfeli und ein Kaffee gegönnt. Und das hat mir wirklich grosse Freude gemacht. Jetzt mache ich das nicht mehr. Jetzt tue ich dieses Geld für das Gipfeli und den Kaffee für jemanden im Altersheim auf die Seite, der sich am Nachmittag keinen Kaffee leisten kann. Und das schenkt mir eine viel tiefere Freude."

Das hat mich sehr beeindruckt! In diesem Sinne sagt auch der Arzt Ladislaus: "Der Kranke macht mich dank Gottes Güte zu einem Simon von Cyrene, indem ich helfe, das Kreuz Christi tragen, das Kreuz des Nächsten durch Nächstenliebe!"

Der letzte und beeindruckendste Punkt ist aber für mich die Person Ladislaus selbst:

Er hatte einen cholerischen Charakter und zudem viele Verletzungen in der Kindheit erfahren: der Vater hat die  Familie verlassen und die Mutter ist gestorben als er nur 11 Jahre alt war.

Aber die Liebe hat ihn verwandelt, die Liebe Gottes, die ihn zuerst geliebt und um seine Liebe bettelte in seinem Alltag, in seinen Nächsten, in seinen Patienten.Manche Schwächen tragen wir mit uns mit, können aber durch die Liebe anders mit ihnen umgehen. Am 22. Januar 1931 stirbt Ladislaus Batthyány-Strattmann.

Einen Tag vor seinem Tod bittet er seine Familie: "Tragt mich auf den Balkon, damit ich in die Welt hinausschreie, wie gut der liebe Gott ist!“ Mögen wir es auch hinausschreien, nicht einfach nur durch Worte, sondern vorallem durch unser Leben.

 
(Predigt von Br.Maximilian Blum beim franziskanischen Gottesdienst am 22.Januar 2024 in Zürich)