Streifzug durch Transsilvanien - Bericht von Br.Mathias Müller, der in Rumänien (Deva) ein Sozialeinsatz gemacht hat

Die beste Möglichkeit ein Land und seine Bewohner besser kennenzulernen, ist sicherlich zu Fuss unterwegs zu sein. So zögerte ich keinen Augenblick mich anzumelden, als ich von der Wallfahrt von Alba-Iulia zum Marienwallfahrtsort Csiksomlyio/Șumuleu Ciuc hörte: eine Pilgerwanderung quer durch Transsilvanien. Ich schreibe bewusst nicht Rumänien, denn nach meinem siebenmonatigen Aufenthalt bei franziskanischen Mitbrüdern in Deva, ist mir bewusst geworden, dass ich in erster Linie Transsilvanien kennengelernt habe. Diese Wallfahrt ist eine gute Gelegenheit auf die vergangenen Monate zurückzublicken. In diesem Bericht versuche ich euch einen kleinen Einblick zu geben in diese Region, so wie ich sie kennenlernen durfte.

 

zu Fuss von Alba-Iulia nach Sumuleu Ciuc.

Am Vorabend unserer Pilgerreise versammeln sich die Teilnehmer. Wir sind ein gutes Dutzend Menschen unterschiedlichen Alters, Herkunft und Tätigkeit: junge berufstätige Männer und Frauen, Pensionisten, Studenten. Einerseits Gläubige, die mit einem konkreten Anliegen zur Muttergottes pilgern, anderseits solche, die auf der Suche sind nach einem Mehr in ihrem Leben und schliesslich solche die einfach mal raus wollen aus ihrem Alltag...

 

1. Tag: Alba Iulia/Gyuliafehérvár -Tiur/Tűr

Gemeinsam mit dem Erzbischof der Diözese Alba Iulia, György Jakubinyi, feiern wir die Frühmesse und beginnen unsere Pilgerreise mit seinem bischöflichen Segen. Die Diözese Gyuliafehérvár, bzw. Alba Iulia (rum.) oder Karlsburg (dt.) umfasst so ziemlich das ganze Gebiet Transsilvaniens. Vom ungarischen König Stephan im Jahre 1009 gegründet, befinden sich noch heute zahlreiche Sarkophage ungarischer Könige und Adeliger in der Kathedrale. Auf einer Fläche, grösser als die Schweiz, leben ungefähr eine halbe Million Katholiken, wovon die überwiegende Mehrheit ungarischsprachig ist. In diesem Teil Rumäniens ist das Römisch-Katholische stark mit der ungarischen Identität verbunden und nicht selten sprechen die Leute von der Kirche der Magyaren.

 

Auf das ganze Land bezogen, dominiert natürlich die rumänisch-orthodoxe Kirche. Es gibt aber eine Vielzahl von anderen christlichen Konfessionen: reformiert, lutherisch, römisch-katholisch, griechisch-katholisch, unitarisch,... und viele verschiedenste Freikirchen und Sekten. Das Zusammenleben dieser verschiedenen Glaubensgemeinschaften funktioniert gut, zu mindestens auf der Ebene der Laien, da die meisten unter dem Motto leben: “Gott ist der Eine und Gleiche für alle”.

 

 

Alba-Iulia ist auch der Ort, wo die Rumänen am Ende des 1. Weltkrieges den Anschluss Transsilvaniens an das rumänische Königreich erklärten. Bis dahin war diese Region ein Teil des österreichisch-ungarischen Kaiserreiches. Der heutige rumänische Nationalfeiertag, der 1. Dezember, erinnert an diese Vereinigung. Für die Ungarn im heutigen Transsilvanien ist dieser Tag verständlicherweise eher ein Trauertag, bedeutet er doch den Beginn einer schleichenden Rumänisierung und Zurückdrängung ihrer Kultur.

 

Nun startet also unser Pilgerzug von diesem geschichtsträchtigen Ort Transsilvaniens. Auf den ersten Kilometern zehren wir noch von unserem Anfangseifer. Singend, betend, plaudernd, ziehen wir durch Landschaften in den wunderschönsten Grüntönen. Nach der Mittagsrast ziehen dann aber die ersten Wolken auf und es fängt an zu regnen. Nach über acht Stunden Wanderung melden sich nun auch die Füsse und der Magen. Nässe, Müdigkeit und Hunger: ich werde mürrisch und merke wie weit ich von der Heiligkeit meines Ordensgründers Franziskus entfernt bin, der unter solchen Bedingungen noch ein Loblied auf Gott anstimmen konnte. Bei mir drehen sich die Gedanken darum, warum ich mir das eigentlich antue und dass es doch jetzt zu Hause so viel schöner wäre. Wie gross ist da die Dankbarkeit und Freude am Abend in der Pfarrei von Tűr/Tiur anzukommen und dort mit einem Schnaps und einer kräftigen Suppe gestärkt zu werden. Ich bin wieder versöhnt. Deo gratias!

 

 

2. Tag: Tűr/Tiur - Copșa Mică/Kiskapus

Der heutige Sonntagmorgen erwartet uns mit Regen. Trotz des erholsamen Schlafs schmerzen mir die Knie. Ob ich diese Pilgerwanderung schaffe? Ich merke, dass es wohl nicht so einfach sein wird wie auf anderen Wallfahrten.

 

 

Nach der ersten Morgenrast setzt sich die Sonne durch und begleitet uns bis zum Abend. Es wird ein prächtiger Tag und wir werden mit Vielem beschenkt: gerade wenn die Kräfte nachlassen, wird uns ein Glas Wein zur Stärkung angeboten, die Menschen unterwegs grüssen und ermuntern uns freudig, eine Rumänin erzählt uns von ihren Glaubenserfahrungen und beschenkt uns mit einem grossen Laib Brot. Am Ende des Tages schliesslich, rennt ein junger Mann auf mich zu und begrüsst mich überschwänglich. Es stellt sich heraus, dass er mich von Graz kennt, wo er sich als hinkender Bettler sein Geld verdient.

 

Der Tag ist zwar lange und anstrengend, doch durch die vielen Begegnungen, die Gespräche mit den anderen Pilgern und die schöne Landschaft werde ich von meiner Müdigkeit und Schmerzen abgelenkt. Wie schön ist es am Abend in der Pfarrei von Copșa Mică/Kiskapus anzukommen, die Messe zu feiern und sich gestärkt mit einem Abendessen, müde aber glücklich, in den Schlafsack zu verkriechen.

 

3. Tag: Copșa Mică/Kiskapus – Mediaș/Medgyes – Dumbrăveni/Erszébetváros

Kaum sind wir die ersten Meter gegangen, trifft uns ein starker Regenguss. Dazu kommen die bereits gewohnten Schmerzen der Beine. Solche Schwierigkeiten am Morgen sind natürlich unangenehm, aber das Positive ist, dass sie mich sehr viel bescheidener und dankbarer machen: ich hoffe, wenigstens diesen Tag noch zu schaffen. Am späteren Morgen hört der Regen auf und die Sonne setzt sich auch heute für den Rest des Tages durch. Gegen Mittag kommen wir in Mediaș/Medgyes/Mediasch an. Das rumänisch-ungarisch-deutsche Ortsschild weist unverkennbar darauf hin, dass wir in Transsilvanien sind, wo verschiedene Kulturen und Sprachen neben- und -miteinanderleben.

 

Die Stadt Mediasch wurde im 13. Jahrhundert von sächsischen Siedlern gegründet, neben weiteren bekannten Städten wie z.B. Hermannstadt/Sibiu oder Kronstadt/Brasov. Die Siebenbürger Sachsen gehören zu den sogenannten Rumäniendeutschen, d.h. den deutschen Minderheiten, die sich in verschiedenen Perioden in diesen Gebieten angesiedelt haben. Die Sachsen haben die Entwicklung Transsilvaniens stark geprägt: sie gründeten Städte und belebten das Handwerk. Nach dem Transsilvanien 1920 Rumänien zugesprochen wurde, setzte im Laufe der Zeit und insbesondere unter dem sozialistischen Diktator Nicolae Ceausescu eine starke Rumänisierungspolitik ein. Die sprachlichen und kulturellen Minderheiten wurden immer mehr zurückgedrängt, ganze Personengruppen wurden umgesiedelt, mit dem Ziel einen einheitlich rumänischen Nationalstaat zu schaffen. Im Jahre 1930 lebten ca. 300‘000 Sachsen in Transsilvanien, heute sind es noch knapp 10‘000. Die meisten der noch verbliebenen Rumänen-Deutschen wanderten nach der Revolution von 1989 aus, wodurch vieles vom kulturellen Reichtum Transsilvaniens verloren gegangen ist.

 

 

 

Wir kommen also in Mediasch an und feiern hier die Messe. Zu meiner Freude stellt sich heraus, dass die katholische Pfarrkirche ursprünglich eine Franziskanerkirche war. Der Pfarrer erzählt uns, wie die Minderbrüder gezwungen wurden das Kloster zu verlassen. Im Jahre 1948, mit der endgültigen Machtergreifung des kommunistischen Regimes, wurde das Land nach stalinistischem Vorbild umgeformt. Alle die bisher in irgendeiner Form Macht ausübten, sei es in Politik, Wirtschaft, Kultur oder Religion, mussten sich der neuen Staatsideologie des Kommunismus anpassen. Die neue Regierung bediente sich entsprechender Mittel der Enteignung, Verhaftung, Verbannung, Einschüchterung etc. Was die Franziskanerbrüder betraf, so wurden diese in zwei, drei sogenannte Internierungsklöster zusammengeführt. Die restlichen Klöster wurden verstaatlicht. Der Orden wurde nicht aufgelöst, aber es gab ein Verbot Novizen aufzunehmen, was gleichbedeutend war mit einem langsamen Absterben. Später wurde den Brüdern zwar erlaubt Pfarrdienste auszuüben und vereinzelt auch wieder in Klöster zurückzukehren, aber erst nach dem Aufstand gegen das Ceausescu-Regime und der Wende von 1989, konnten wieder neue Brüder in den Orden eintreten. Heute sind es um die vierzig Brüder, verteilt in etwa zehn Klöstern.

 

 

Nach der geistigen und leiblichen Stärkung in Mediasch geht es weiter. Es gilt noch gute zwanzig Kilometer zu absolvieren bis zu unserer heutigen Unterkunft. Wir treffen auf eine weitere alte Sachsensiedlung, Durles (rum. Dârlos) und besuchen dort eine alte evangelische Kirche aus dem 15. Jahrhundert. Da auch aus diesem Dorf fast alle Sachsen weggezogen sind, ist die Kirche nur mehr ein historisches Denkmal. Die letzten Kilometer ziehen sich dahin. Müde kommen wir schliesslich in Dumbrăveni (Elisabethstadt/Erzsébetváros) an. Es ist eine kleinere Stadt, hat aber im Zentrum eine imposante armenisch-katholische Kirche, da sich hier mal eine bedeutende Minderheit vertriebener Armenier ansiedelte. Um die sprachliche, bzw. konfessionelle Vielfalt noch auf die Spitze zu treiben, werden wir dort vom reformierten, ungarischen Pfarrer erwartet. Er begleitet uns in seine Pfarrei, wo wir Unterkunft kriegen für diese Nacht. Die Reformierten freuen sich, eine römisch-katholische Pilgergruppe bei sich zu haben. Es ist eine ganz einfache Unterkunft, wo wir auf dem Boden schlafen, aber die herzliche Gastfreundschaft lässt uns alles vergessen. Die Leute organisieren für uns einen gemütlichen Abend mit Broten und Wein und am Morgen bringt uns der Pfarrer höchstpersönlich Kaffee im Thermokrug. Wäre doch das Zusammenleben von Menschen verschiedener Sprachen und Religionen  überall so unkompliziert und herzlich wie hier.

 

4. Tag: Dumbrăveni/Erszébetváros – Sighișoara/ Segesvár – Újszékely/ Secuieni

Die ersten Kilometer am Morgen sind immer die schwersten. Ich brauche etwa eine Stunde, bis ich warmgelaufen bin, die Schmerzen nachlassen und ich wieder in den Rhythmus komme...

 

Wir sind unterwegs Richtung Sighișoara/Segesvár, was auf Deutsch den witzigen Namen Schäßburg trägt. Es handelt sich auch hier um eine von den Siebenbürger Sachsen gegründete Stadt. Das historische Zentrum ist sehr eindrücklich und gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. In Sighișoara befindet sich auch das angebliche Geburtshaus von Vlad III. mit dem Beinamen Drăculea (Sohn des Drachen, bzw. des Teufels). Dieser Graf herrschte im 15. Jahrhundert, kämpfte gegen die Ottomanen und war bekannt wegen seiner Grausamkeiten. Es gab schon früh zahlreiche Legenden über die Gräueltaten von Vlad Drăculea. Durch den Vampirroman von Bram Stoker ist er dann aber weltbekannt geworden und prägt, zum Missfallen vieler Rumänen, das Bild dieses Landes.

 

 

Es ist ein schöner Morgen, am Himmel sieht man keine Wolke, so dass wir heute wohl trocken bleiben werden. Kurz bevor wir Sighișoara erreichen, kommen wir an einer riesigen Mülldeponie vorbei. Hier wird scheinbar der ganze Abfall aus der Umgebung zusammengeführt. In der Nähe haben sich ein paar Roma Familien niedergelassen und jedes Mal wenn ein Müllwagen seine Ladung leert, stürmen die Kinder los, um den Abfall nach Brauchbarem zu durchsuchen. Dieses Bild macht mich einmal mehr nachdenklich über die unterschiedlichen Umstände, in die wir Menschen hineingeboren werden. Wir haben ja keinen Einfluss darauf, wo und wie wir aufwachsen: arm, reich, gesund, behütet, vernachlässigt... Es gilt wohl, diese Tatsache der Verschiedenheit anzunehmen. Gleichzeitig spüre ich aber auch, dass ich aufgerufen bin, etwas gegen die Ungerechtigkeit und Armut zu tun, selbst wenn es noch so klein und scheinbar sinnlos ist. Aber ich kann doch nicht einfach untätig wegschauen…

 

 

Kurz nach Mittag kommen wir dann endlich in der katholischen Pfarrei an, die sich auf einem Hügel, mitten in der historischen Stadtbefestigung befindet. Es ist schön, hier die Messe zu feiern. Ich versuche an die Menschen zu denken, die ich auf der Müllhalde gesehen habe: „Gott, hilf mir - hilf uns zu helfen. Zeige uns die Wege, schenke uns den Willen, die Kraft, Freude und Phantasie, dass wir füreinander wirklich Brüder und Schwestern sind!”

 

 

Wir werden von der Pfarrei zu einem wunderbaren Mittagessen eingeladen, wobei es zuerst einen kräftigen Schnaps gibt, wie es sich hier gehört. Es warten noch ungefähr fünf Stunden Fussmarsch auf uns. Das ist ein langer Weg und gegen Tagesende schmerzen mir wieder die Knie und die Achillessehne. Gegen Abend passieren wir dann den Grenzstein vom Bundesland Hargita und kurz darauf erreichen wir das Haus von Jolanka. Sie überwältigt uns mit ihrer herzlichen Gastfreundschaft. Im Innenhof steht ein gedeckter Tisch bereit, über dem Feuer brodelt das Gulasch und Jolanka steckt uns alle an mit ihrer Fröhlichkeit. Alle Schmerzen und Mühen des Tages sind vergessen! Kommen wir vielleicht so einmal im Himmel an?

 

5. Tag: Újszékely/Secuieni – Székelykeresztúr/Cristur Secuiesc – Nyikómalomfalva/Mihăileni

Wir sind nun im Szeklerland angekommen. Damit bezeichnet man die Region im Osten Transsilvaniens, wo die ungarische Volksgruppe der Szekler lebt. In diesem Gebiet stellen die Ungarn die grösste Volksgruppe. Alle Beschriftungen sind hier in Ungarisch und die Leute sprechen nur selten und eher schlecht rumänisch. Die Szekler haben ihre eigene Kultur, was sich im Dialekt, in der Architektur oder in ihre Trachten zeigt. Die Gastfreundschaft, die überall in Rumänien gross geschrieben wird, scheint bei den Szeklern ganz besonders ausgeprägt zu sein. Zum Frühstück erwartet uns wiederum ein reichhaltiger Tisch mit Wurst, Speck, Käse und natürlich einem Schnaps.

 

So gestärkt geht es nun also in den neuen Tag. Doch wir kommen nicht sehr weit, denn bereits nach einer Stunde lädt uns eine Familie zu sich in den Innenhof ein. Sie servieren uns Tee und bringen selbstgemachte Wurst und Brot. Die Menschen hier sind sehr herzlich. Den ganzen Tag werden wir von allen Seiten gegrüsst, Autos hupen und alle scheinen sich zu freuen, dass wir nach Csiksomlyo, ihrem Marienwallfahrtsort, unterwegs sind.

 

Wir ziehen durch wunderschöne Landschaften, vorbei an grünen Hügeln, Wäldern und Bächen. Es erinnert mich in vielem an die Schweiz, nur ist alles viel weiter und unberührter. Auf den Weiden grasen Schafherden und Kühe. Wir kommen an Dörfer vorbei, wo es ausschaut wie auf den Fotos meiner Grosseltern: Bauern pflügen den Acker mit einem Gaul, Hühner und Gänse laufen frei auf der Strasse herum und immer wieder kommen uns Pferdefuhrwerke entgegen. Das alles erzeugt eine romantische Stimmung. In dieser Idylle ist aber auch die Armut sichtbar. Besonders krass ist das bei den Roma. Sie leben teilweise in Hütten zusammengebaut aus Sperrmüll, die Kinder stecken in schmutzigen und löchrigen Kleidern und draussen hängen geflochtene Körbe, mit denen sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Neben den Rumänen, Ungarn und Deutschen, sind die Roma nochmals eine ganz eigene Volksgruppe hier in Transsilvanien. Sie haben ihre eigene Sprache und Kultur. Innerhalb der Roma gibt es wiederum unterschiedliche Gruppen, die sich voneinander abgrenzen: solche die in riesigen, kitschigen Villen leben und andere in Bretterbuden im Müll. Untereinander scheint es keine wirkliche Solidarität zu geben. Im Allgemeinen leben die Roma am Rand der rumänischen Gesellschaft. Einerseits weil sie sich in ihrem Selbstverständnis selber bewusst abgrenzen, anderseits weil sie sicherlich auch diskriminiert werden auf Grund ihres Andersseins. So wie ihre Herkunft unklar und legendenhaft ist, so bleiben sie auch als Menschen in vielem geheimnisvoll.

 

 

Kurz bevor wir unser heutiges Tagesziel erreichen, müde vom vielen Gehen und der Hitze, hält unverhofft ein Autofahrer an. Er hat uns gesehen und ist für uns im nächsten Geschäft Wasser und etwas zum Essen einkaufen gegangen. Wir freuen uns natürlich über so eine unverhoffte Stärkung und bedanken uns mit einem Segenslied. Beim Abschied hat er, der uns beschenkte, Tränen in den Augen! Es wird mir immer bewusster, dass wir als Gruppe nicht nur für uns selber unterwegs sind, sondern dass unser Pilgern bei anderen Menschen Sehnsüchte, Freuden und Hoffnungen weckt.

 

Wir kommen schliesslich in der Pfarrei von Nyikómalomfalva/Mihăileni an und werden dort vom Pfarrer Daniel und der halben Kirchgemeinde erwartet. Einmal mehr sind wir überwältigt von der Herzlichkeit, mit der wir empfangen werden. Gemeinsam mit der Dorfbevölkerung feiern wir die Abendmesse und werden anschliessend zum Essen eingeladen. Es ist kaum in Worte zu fassen, was uns an diesem Tag wieder alles geschenkt wurde.

6. Tag: Nyikómalomfalva/Mihăileni – Székelyudvarhely/Odorheiu Secuiesc – Szentegyháza

Ich habe mich zwischenzeitlich an zwei Dinge in der Früh gewöhnt, nämlich an den Schnaps zum Frühstück und an die schmerzenden Füsse. Ich hoffe jeweils, dass mir der Schnaps hilft leichter zu starten. Er tut es tatsächlich...

 

 

Nach etwa drei Stunden Fussmarsch erreichen wir eine Kapelle, wunderbar gelegen auf einem Hügel, wo wir heute die Messe feiern. Heute scheint ein sehr heisser Tag zu werden. In der Mittagshitze durchqueren wir die Stadt Székelyudvarhely/Odorheiu Secuiesc, dem kulturellen Zentrum vom Szeklerland. Gerade als die Hitze am unerträglichsten wird, hält ein Autofahrer und beschenkt uns mit einem Eis. Danke dir, unbekannter Engel…

 

 

Zum Mittagessen sind wir eingeladen im „Haus der Brüderlichkeit”, einem Nachmittagshort in Máréfalva/Satu Mare. Es handelt sich um ein Haus, wo Kinder aus benachteiligten Familien nach der Schule hinkommen, um gemeinsam zu Essen und Hausaufgaben zu machen. Dieses Haus gehört zur Franziskusstiftung, die mehrere Dutzend solcher Häuser in ganz Transsilvanien gegründet hat. Diese Stiftung wurde vom Franziskaner Csaba Anfang der 1990er Jahre ins Leben gerufen. Die Not war damals sehr gross, denn viele Kinder wuchsen unter schwierigsten Verhältnissen auf: Eltern ohne Arbeit oder mit Alkoholproblemen. Man versuchte den Kindern zu helfen mit Essen, Kleidung und Schulbildung. Über die Jahre ist ein richtiges Netz von Kinderheimen, Nachmittagshorten und Wohnheimen entstanden. Man hilft den Kindern nicht nur materiell, sondern will sie zu einem selbständigen, erfüllenden Leben führen. Die Franziskusstiftung lebt von Spenden und vom persönlichen Engagement zahlreicher Freiwilliger. Viele der Betreuer leben zusammen mit ihren eigenen Familien in den Heimen. In meiner Zeit in Transsilvanien hatte ich die Möglichkeit mehrere solche Häuser kennenzulernen und es ist wirklich schön zu sehen, was für eine familiäre Atmosphäre an diesen Orten herrscht.

 

Nach einer kräftigen Suppe und einer amüsanten Gesangsdarbietung der Kinder, ziehen wir weiter. Wir haben noch einige Kilometer vor uns. Jetzt fängt auch die Steigung an, denn wir kommen ins Karpathengebirge. Durch Abkürzungen versuchen wir ein bisschen Zeit zu gewinnen, doch wir landen in einer sumpfigen Wiese und erreichen gerade das Gegenteil. Gegen halb acht Uhr kommen wir bei unserem vermeintlichen Tagesziel an. Es stellt sich aber heraus, dass wir noch weitere zwei Stunden zu gehen haben, alles den Berg hinauf. Wir sind alle zu müde um gross zu jammern und fügen uns. Wir beten den Rosenkranz, singen Lieder und gehen und gehen. Gegen zehn Uhr kommen wir dann im Pilgerhaus in Szentegyháza an. Es erwartet uns sogar noch ein Abendessen. Wie schön es an diesem Abend ist, in den Schlafsack zu steigen, völlig müde aber glücklich angekommen zu sein.

 

7. Tag: Szentegyháza – Csikszereda/Miercurea Ciuc

Der letzte Pilgertag ist wieder ein Regentag und ausserdem sehr kühl. Doch da wir wissen, dass wir heute ankommen, ist die Laune trotz allem sehr gut. Heute gehen wir den ganzen Tag der Hauptstrasse entlang. Wir werden von unzähligen Reisebussen und Autos überholt und behupt. Die meisten kommen aus Ungarn und sind wie wir unterwegs nach Csiksomlyo, wo morgen die alljährliche Wallfahrt stattfindet.

 

Gleich bei der ersten Rast werden wir zu einem warmen Tee eingeladen. Gerade das Richtige bei diesem Wetter. Mit etwas Warmem im Bauch geht es sich leichter. Pünktlich zum Angelusgebet kommen wir auf dem höchsten Punkt unserer Pilgerreise an. Dort stehen drei grosse Kreuze, die an wichtige Daten in der Geschichte Ungarns erinnern. Daran lässt sich erkennen, dass sich die Menschen hier als (transsilvanische) Ungarn fühlen und nicht als Rumänen. Für die Ungarn in Rumänien ist es insofern schwierig, da der rumänische Staat sehr zentralistisch geführt wird und den Regionen keine Eigenständigkeit zugesteht. Es bestehen zwar ungarischsprachige Schulen und es gibt ein Gesetz, dass ab einem Bevölkerungsanteil von 20 % auch eine Minderheitensprache als Amtssprache dienen kann. Doch in der Realität ist das Rumänische die alles dominierende Sprache und Kultur. Unter Ceausescu herrschte eine Politik der Rumänisierung mit dem klaren Ziel, alle Minderheiten zu marginalisieren. Das erklärt warum die Ungarn bis heute sehr skeptisch sind gegenüber allem Rumänischen.

 

 

Zum Mittagessen finden wir einen Unterstand. Jeder kramt aus seinem Rucksack den letzten Essensproviant hervor und so ergibt sich eine „Teilete“ mit Schmackhaftem aus Brot, Wurst, Käse und Kuchen. Kurzerhand organisiert jemand noch einen Schnaps und das Mittagessen ist perfekt.

 

 

Es geht weiter. Das erste Mal sehen wir von weitem unser Ziel: Miercurea Ciuc mit dem Marienwallfahrtsort Csiksomlyoi. Doch es sind immer noch knappe zwei Stunden zu gehen. Ich spüre die Anstrengungen der letzten Tage und mühe mich diese letzten Kilometer sehr ab. Wieder setzt der Regen ein, dazu kommen die Müdigkeit und der Hunger. Gegen vier Uhr nachmittags treffen wir dann endlich ein. Es ist geschafft! Doch die Freude will noch nicht so recht aufkommen, ich bin einfach zu müde. Nach einem kurzen Nickerchen und einer Dusche schaut die Welt aber wieder ganz anders aus.
Deo gratias!

 

Am Abend besuchen wir den Gottesdienst in der Marienkirche. Es sind bereits viele Leute anwesend für die Wallfahrt von morgen. Anschliessend sind wir, zusammen mit anderen Pilgergruppen, zum Abendessen eingeladen. Wir treffen auf Pilger, die seit vierzig Tagen unterwegs sind. Jede Gruppe erzählt von ihren Erlebnissen. Eigentlich verrückt, dass jemand freiwillig so lange unterwegs ist, unter den einfachsten Bedingungen lebt und alle möglichen Schmerzen erduldet. Und doch strahlen alle eine ansteckende Freude und Zufriedenheit aus. Genau das ist wohl das Faszinierende am Pilgern…

 

 

 

8. Tag: Csíksomlyó/Șumuleu Ciuc

Jedes Jahr am Samstag vor Pfingsten findet in Csíksomlyó (dt.: Schomlenberg) eine grosse Wallfahrt statt. Sie erinnert daran, wie die Einheimischen im Jahr 1567, in den Reformationswirren, erfolgreich ihren katholischen Glauben verteidigten. Aus Dankbarkeit über diesen Sieg pilgern alljährlich Menschen zum Marienwallfahrtsort nach Schomlenberg. Dieser Brauch überlebte die Türkenbelagerungen und selbst die Kommunisten. Nach 1989 ist die Zahl der Pilger markant gestiegen.   Mehr als hunderttausend Ungarn aus der ganzen Welt kommen zu dieser Wallfahrt und drücken so ihre Zusammengehörigkeit, über alle Staatsgrenzen hinweg, aus. Heuer ist sogar der ungarische Präsident angereist. Schomlenberg ist auch so etwas wie das geistige Zentrum für die ganze Diözese. Die Marienstatue ist übrigens mit über zwei Metern, die scheinbar grösste Gnadenstatue der Welt.

 

 

 

Gleich nach dem Frühstück machen wir uns auf zum Wallfahrtsgelände. Die Strassen sind bereits übervoll mit Menschen. Alle ziehen zum Hügel hin, wo die Messe gefeiert wird. Menschen in Trachten, Menschen betend und singend, in Gruppen oder einzeln, Jung und Alt, Mann, Frau und Kinder. Das Volk Gottes.

 

 

 

Der Wallfahrtsort wird seit Jahrhunderten von den Franziskanerbrüdern betreut. Bei der jährlichen Pfingstwallfahrt helfen Brüder aus der ganzen Provinz mit. Es ist für mich somit eine schöne Gelegenheit auf viele bekannte Gesichter zu stossen. Zu meiner Überraschung bin auch ich eingeteilt als Kommunionhelfer, womit ich die Wallfahrtsmesse an vorderster Front miterleben kann. Langsam versammeln sich alle um den Altar auf dem Hügel, eine Menschenmenge soweit das Auge reicht. Unweit von mir sind mehrere Priester, bereit für den Beichtdienst. Dieser wird rege in Anspruch genommen, viele haben ein längeres Gespräch und kommen anschliessend mit Tränen in den Augen, um die heilige Kommunion zu empfangen. Es ist eindrücklich, wie trotz der vielen Leute eine ruhige und besinnliche Stimmung herrscht. Die Messe dauert etwa zwei Stunden, alles auf Ungarisch. Ich verstehe nichts, aber dass spielt keine Rolle, denn ich bin beeindruckt von der Präsenz und Andacht der Menschen.

 

Nach der Messe entsteht ein riesiger Menschenzug, der sich auf den Weg macht, zurück in die Stadt. Ich gehe ins Kloster und freue mich nochmals die Brüder zu treffen. Diese Pilgerreise ist ein bisschen wie der Schlusspunkt meines Aufenthaltes hier bei den Franziskanern in Rumänien oder wie ich zwischenzeitlich begriffen habe: Transsilvanien. Am Abend kehre ich auf den nun menschenleeren Hügel zurück und gehe in Gedanken die letzten Tage und Monate durch. Ich spüre eine grosse Dankbarkeit, weil ich ein Land mit seinen Menschen und ihren Geschichten entdecken und kennenlernen durfte. Ich denke an die Herzlichkeit, mit der ich aufgenommen wurde, an die Schönheit der Landschaften und Städte, an die zahlreichen Begegnungen und Gespräche, an die Freuden und Schwierigkeiten im Erlernen neuer Sprachen, an die Auseinandersetzung mit meinen Stärken und Schwächen... einfach an eine schöne und wertvolle Zeit. Danke!


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